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Wir treffen Maha Alouani, Expertin für marokkanische Geschichte & Ethnografie

Maha Alouani hat kürzlich ihren Bachelor in Internationalen Beziehungen an der Queen Mary University in London abgeschlossen und ist derzeit Leiterin des Heritage Museums in Marrakesch, Marokko. Ihre Arbeit hat in ihr die Neugier geweckt, was marokkanische Geschichte und Stammes-Ethnographie angeht. Sie interessiert sich außerdem für zeitgenössische Konflikte in Ostafrika und am Horn, spricht mehrere Sprachen und lernt noch Weitere dazu. Sie liebt Musik aus Mali. Die in Marrakesch geborene und teils in Marokko, teils in Großbritannien multikulturell aufgewachsene Maha lernt das Tifinagh-Alphabet und schreibt ein Buch über andalusische Stickereien aus dem 18. Jahrhundert sowie ein weiteres über Berber-Teppiche. Ihr Interesse am Weltgeschehen und an Kulturanthropologie ist die natürliche Folge ihrer Erziehung.

Maha, bitte beschreibe dich in drei Worten…

Neugierig, ungeschickt, optimistisch.

Wir glauben, dass Hände Geschichten erzählen. Was sagen deine Hände über dich?

Dass ich von alten marokkanischen Silberringen besessen bin … und von Handcreme!

Was ist das Letzte, das du mit deinen Händen erschaffen hast?

Ich bin gerade dabei, eine kleine Galerie marokkanischer Antiquitäten zu kuratieren. Als ich die kleineren Stücke (Silberschmuck und Accessoires) ausgewählt habe bemerkte ich, dass einigen Ohrringen Haken fehlten. Ich verbrachte den Nachmittag damit, sie zu reparieren. Jetzt sind sie wieder tragbar.

Wenn du wählen könntest, was würdest du mit Händen gern tun können?

Stellt euch vor, ihr erhaltet automatisch Informationen zu einem Gegenstand, den ihr berührt. Was wäre, wenn ihr durch bloße Berührung in die Vergangenheit dieses Gegenstands eintauchen und lebendige Bilder von seiner Herstellung durch eine Handwerkerin oder einen Handwerker erhalten könntet? Was wäre, wenn ihr für einen Moment in jeder Entstehungsphase eines jeden Gegenstands leben könntet? Ihr wärt in der Lage, seine Umgebung zu riechen und würdet für einen Moment in der Zeit, in der er hergestellt wurde, leben und zu seinem Geburtsort reisen. Das wäre eine bereichernde Art, zu lernen!

„One of a Mind”, eines Sinnes sein, unterstreicht unseren starken Glauben an Gleichheit und den Wert des Teilens. Wie kommt der interkulturelle Austausch in deinen Augen unserer globalen Gesellschaft zugute?

Ich glaube, man kann so viel durch kulturellen Austausch gewinnen! Denkt an den inneren Jubel, den ihr verspürt, sobald ihr zu einem für euch interessanten Thema neue Informationen erhaltet. Es gibt so viel voneinander zu lernen, besonders wenn wir verschiedenen kulturelle Hintergründe haben. Ich verbringe viel Zeit damit, historische Gemeinsamkeiten in verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu erforschen, insbesondere durch meine Untersuchung von Motiven in Textilien. Zum Beispiel ist das Rautenmotiv auf allen Kontinenten allgegenwärtig: nehmen wir mal die Rautenformen in den Wikingerhöhlen in Dänemark und in den marokkanischen Berber-Teppichen – sie repräsentieren in beiden Fällen den Körper der Frau. Ein weiteres Beispiel ist die Ähnlichkeit der penannularen keltischen Fibula mit der Berber-Fibula: mit ihrer Hilfe wurde die Kleidung an Ort und Stelle gehalten und sie war ein wesentlicher Bestandteil der traditionellen Frauenbekleidung einer bestimmten Zeit. Die Überzeugung, dass wir mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede haben, ist weit verbreitet und wird durch Ethnologie bestätigt.

Du wurdest in Marokko geboren, hast aber eine Weile im Ausland gelebt. Was unterscheidet Marokko von anderen Ländern? Was hat Marokko, was keine andere Kultur hat?

Das kann ich nicht wirklich beantworten, da ich keine Vergleiche mit Kulturen ziehen kann, die ich noch nicht kenne. Da in Marokko über hundert Stämme leben und jeder Stamm seine eigene Kultur hat ist es schwierig, von einer einheitlichen marokkanischen Kultur zu sprechen. Unnötig zu erwähnen, dass ich noch nicht mit allen unterschiedlichen Kulturen Marokkos vertraut bin, geschweige denn mit denen aller anderen Länder!

Um über Kulinarisches zu sprechen – wie würdest du den „Geschmack” Marokkos beschreiben und was ist dein Favorit?

Ein beliebtes marokkanisches Gericht heißt „Terda“. Die Grundzutaten sind Brot, Bohnen, Linsen, Tomaten und Zwiebeln. Die Idee dahinter ist, ein Gericht mit den Resten der Woche zuzubereiten, um es mit Familie und Freunden zu teilen. Das ist ziemlich einfallsreich, aber Kompromisse bei diesem weltberühmten marokkanischen Gericht werden nicht gemacht. Ich betrachte Terda als Ausdruck der marokkanischen Lebensweise – aus einfachen Zutaten etwas Großartiges machen. Einfallsreichtum und Teilen sind Werte, die in der Bevölkerung sehr verankert sind, von der Wiederverwendung alter Kleidung als Mopp bis zum Weben spektakulärer Boucherouite-Teppiche (sogenannte Lumpenteppiche) aus recyceltem Stoff.

Du verwaltest das Heritage Museum in Marrakesch. Inwiefern kann das marokkanische Erbe andere Kulturen dazu inspirieren, in Frieden zusammenzuleben?

Marokko, wie wir es kennen, ist ein Land der Vielfalt. Das sieht man sofort, wenn man handgefertigte marokkanische Artefakte im Heritage Museum von Marrakesch studiert. Marokko war Teil der Seidenstraße, welche die weltweiten Handelsbeziehungen revolutionierte, den Atlantik und das Mittelmeer überbrückte und durch Afrika ging. Sie wurde für viele Kulturen zu einem Scheideweg. Dies können wir anhand der vielfältigen Handwerkskunst des Landes studieren. Zum Beispiel können wir einige unheimliche Ähnlichkeiten in der Stickerei aus der Stadt Fès und der von Rumänien und Kroatien feststellen. Ein genauerer Blick auf die Geschichte der Stickerei würde zeigen, dass die andalusische Stickerei im 15. Jahrhundert von im Exil lebenden Balkanstickern nach Marokko kam. Sie gaben dieses Handwerk an junge aristokratische Mädchen in Nordmarokko weiter. Vielleicht können wir aus konkreten Beispielen gegenseitiger Beeinflussung – wie sie in der Stickerei zu sehen sind – einige Lehren ziehen, zum Beispiel dass wir viel mehr gemeinsam haben, als wir vielleicht denken. Wir müssen uns nur die Zeit nehmen, genauer hinzuschauen. Aus der Vielfalt entsteht Schönheit! Die Fès-Stickerei ist in der heutigen Modebranche zu einer Ikone geworden und wir haben den in Marokko im Exil lebenden Balkanstickern dafür zu danken.

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